Ein stummer Zeuge des Fortschritts

Das Plakat als Medium wird in erster Linie mit Werbung für politische Parteien, Tourismusdestinationen, kulturelle Veranstaltungen, Firmen oder einzelne Produkte in Verbindung gebracht. In der Schweiz sind darüber hinaus auch zahlreiche Plakate überliefert, die den Fortschritt im Bereich Mobilität dokumentieren. Dabei liegt der Fokus klar auf Bergbahnen, die einen wesentlichen Beitrag zur Entwicklung des Tourismus und des Wintersports geleistet haben. Im Gegensatz dazu wirkt das abgebildete Plakat eher unspektakulär – und vor allem ein bisschen rätselhaft. Was hat ein Trolleybus mit den Rheintalischen Strassenbahnen zu tun? Und wie ist die grosse weisse Fläche in der Mitte zu erklären? Um die beiden Fragen zu beantworten, lohnt es sich, die Entstehungsgeschichte des Plakats näher zu beleuchten.
Mit der Gründung der Elektrischen Strassenbahn Altstätten-Berneck 1895 wurde der Grundstein für den öffentlichen Nahverkehr im St.Galler Rheintal gelegt. Die Tramstrecke wurde Anfang April 1897 in Anwesenheit prominenter Gäste aus Politik und Wirtschaft feierlich eröffnet, wie das «St.Galler Tagblatt» berichtete:
«Vor dem Bahnhof standen reich bekränzt die prächtigen Tramwagen, blank, hell und vielfenstrig, wahre Schmuckkästlein. Aus den Rebbergen krachten die Mörser, von den Dächern flatterten die Fahnen und Flaggen, so weit ihnen das Flattern bei dem Regen möglich war. So ging’s ins Städtchen hinein, wo ganz Altstätten auf den Beinen war und die einziehenden Gäste freudig bewillkommte. (…) Um 2 Uhr mittags fuhren die Gäste in drei Wagen nach Berneck, vorbei an Leuchingen, Marbach, Rebstein, Balgach (…). In allen Dörfern Fahnen und Kränze, von den Rebhalden Böllerschüsse, in Rebstein ein Trunk unter freiem Himmel.»
Im Oktober 1915 wurde die Zweiglinie Heerbrugg – Widnau – Diepoldsau eingeweiht. Im Hinblick auf die geplante Streckenerweiterung erfolgte bereits im April desselben Jahres eine Änderung der Firmennamen in Rheintalische Strassenbahnen.
Bis Mitte der 1920er entwickelten sich die Personenfrequenzen erfreulich. Doch dann machte sich auch im Rheintal die Wirtschaftskrise allmählich bemerkbar. Sie führte zu einem kontinuierlichen Rückgang der Fahrgastzahlen und somit der Betriebseinnahmen. Gleichzeitig war die durchschnittliche Geschwindigkeit von knapp 20 km/h immer weniger mit dem zunehmenden Strassenverkehr vereinbar. Darüber hinaus bildeten die Fahrgeleise auf der verhältnismässig schmalen Strasse von Altstätten nach Heerbrugg vor allem im Winter ein grosses Hindernis. Statt also den Strassenbelag auszubessern und die Geleise nach über 40 Jahren zu erneuern, entschied man sich für die Umstellung auf ein schienenfreies Verkehrsmittel. Die Wahl fiel schliesslich auf den Trolleybus, ein Transportmittel, das zu dem Zeitpunkt bereits in Lausanne im Betrieb war. Die ursprünglich für Herbst 1939 geplante Umstellung musste kriegsbedingt verschoben werden. Im September 1940 war es endlich so weit: Auf den Strecken Altstätten – Heerbrugg und Heerbrugg – Berneck wurden Trolleybusse in Betrieb genommen.
Es ist genau diese spannende Geschichte, die sich in dem oben abgebildeten, von Ernst Emil Schlatter (1883–1954) entworfenen Plakat widerspiegelt. Offenbar sollte dieses von Anfang an als Hintergrund des Fahrplans dienen, was ein Exemplar im Bestand der Verkehrshauses der Schweiz neues Fenster in Luzern bezeugt.
Möchten Sie sich auf eine Zeitreise begeben, um die Umstellung vom Tram zum Trolleybus live zu erleben? Dann steigen Sie ein neues Fenster!