Samtpfoten mit scharfen Krallen
Im Jahre 1943 feierte der Schweizer National-Circus der Gebrüder Knie sein 25jähriges Bestehen. Das Jubiläum fiel in eine äusserst schwierige Zeit, da auch das Familienunternehmen die Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs deutlich zu spüren bekam. Trotzdem setzte die Direktion alles daran, mit der Fortsetzung von Vorstellungen den Menschen ein Stück Normalität zu bieten. Wie das abgebildete Plakat von Anton Trieb (1883–1954) zeigt, wollte man deshalb auch nicht auf Raubtiernummern verzichten, die nahezu von Anfang an zu den Hauptattraktionen gehörten.
Dass die Wahl dabei auf Panther fiel, hing möglicherweise damit zusammen, dass sie mit knappen drei Kilo pro Kopf und Tag viel geringere Fleischmengen verzehren als beispielsweise Löwen oder Tiger. Ein nicht zu unterschätzendes Argument in Zeiten von kriegsbedingten Lebensmittelrationierungen. Um das nötige Futter für die wilden Tiere zu beschaffen, kontaktierte der Zirkus sämtliche Tierärzte im Land und bat sie, ihm verunfallte bzw. kranke Tiere zu melden, die getötet werden mussten und deren Fleisch für den menschlichen Konsum nicht in Frage kam.
Dank dem Engagement von Eveline de Kok konnte ausserdem eine Panther-Nummer vorgeführt werden, die sich wesentlich von all jenen unterschied, die das Schweizer Publikum bislang gesehen hatte. Medienberichten zufolge waren die Zuschauer wohl am meisten von einem Trick beindruckt, der darin bestand, dass zwei Panther einen Wagen durch die Manege zogen, in dem eine dritte Grosskatze Platz nahm. Dass sich diese Raubtiere, die als schwieriger zu dressieren gelten als Löwen oder Tiger, überhaupt darauf einliessen, war sicher auf eine sanfte Dressurmethode zurückzuführen. Die Dompteuse betrachtete nämlich jede von den sieben wilden Katzen als «eine Persönlichkeit für sich mit einer besonderen sozialen Stellung innerhalb der Gruppe; jedes Tier hat seinen Rufnamen, seine individuellen Eigenarten und seine eigenen Dressuraufgaben, deren Ausführung seinem Wesen am besten entspricht». Die sonst so unberechenbaren Panther blieben während der Auftritte zahm und griffen Eveline de Kok nicht an. Auch Eliane Knie, die bei deren Krankheit einsprang, blieb unversehrt.
Deutlich weniger Glück hatte hingegen Vojtech Trubka, der aus derselben Schule hervorgegangen war wie Eveline de Kok. Der 1904 auf dem Gebiet der heutigen Tschechischen Republik geborene Meisterdompteur, der seit 1935 bei Circus Knie unter Vertrag stand, trat überwiegend mit Tigern auf, was unter anderem ein von Hans Falk (1918–2002) entworfene Plakat neues Fenster belegt. Im Laufe seiner Karriere wurde er nicht weniger als dreissigmal von seinen Tieren zum Teil schwer verletzt. Dabei sorgten vor allem zwei Vorfälle für Schlagzeilen. Während einer Probe im November 1936 gingen plötzlich zwei Raubkatzen aufeinander los. Als Trubka versuchte, sie zu trennen, fiel ihn die Tigerin Ceylon von hinten an und biss ihn in den Nacken. Der Dompteur, der mit dem zweihundert Kilogramm schweren Tier zu Boden stürzte, konnte es nur mit grösster Mühe abschütteln und musste notoperiert werden. Obwohl er eine Weile sogar in Lebensgefahr schwebte, verliess er das Spital bereits nach wenigen Tagen auf eigenen Wunsch, um sich auf eine Gastspielreise nach London zu begeben. Im Anschluss daran wurde er vom Pariser Cirque d’Hiver engagiert. Auch in Frankreich verliefen die Auftritte zunächst ohne Zwischenfälle. Doch in der letzten Woche, an einem Abend im Februar 1937, gerieten wieder zwei Tiger aneinander. Und wieder war es Ceylon, die den Bändiger von hinten angriff und zu Boden riss. Die Rettung kam diesmal von unerwarteter Seite. Eine mächtige sibirische Tigerin sprang Ceylon an, packte sie am Nacken und riss sie von Trubka weg. Schwer verletzt beendete dieser die Nummer zum Erstaunen des zu Tode erschrockenen Publikums.
Vojtech Trubka liess nie zu, dass ein Tier seinetwegen zu Schaden kam, geschweige denn abgeschossen wurde. Lieber setzte er sein eigenes Leben aufs Spiel.
Mittlerweile zeigt der Circus Knie keine Raubtiernummern mehr. Die letzte Darbietung mit Raubkatzen fand 2004 statt.
