Gerold Späth
Gerold Späth, *1939 Rapperswil
Barbarswila, Fischer, Frankfurt am Main 1988
An einem Tag in Rapperswil erleben seine Bewohnerinnen und Bewohner so einiges. Im Städtchen am Zürichsee wird in Gerold Späths gewohnt lustvoller und barocker Sprache berichtet, getrunken, gezetert und fabuliert.
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gelesen von Christian Hettkamp (4:51 Min.)
Textauszug, Seiten 23 - 25
IM FÜNFTEN KAPITEL
geht die sterntilgende Sonne auf und Beck der Fischer begegnet unserem Warter Eugen Höfliger
Beck machte daß er aus dem Haus kam und sah an den gelblichrötlich überhauchten Himmel hinauf und kratzte sich. Er fand es nicht lustig, mit einem Reibeisen verheiratet zu sein, er fand, sie werde immer rässer und grätiger. Irgendwann, Rosa, fliegst du aus dem Kahn, paß auf!
Die Röte wurde stärker, der Himmel glühte, die Vögel pfiffen sich die Lunge aus den Federn, die Bergzacken fingen an zu gleißen. Jetzt noch eine Sekunde, dann schießen die Strahlen hervor und über die Hänge herab. Ha, da steigt sie schon! Eine Wucht! Eine prangende Pracht mit Pauken und Posaunen daß dir die Augen übergehen. Oh du rosenfingriger Morgen, oh sterntilgende Sonne! Glanz und Glorie! Der gute alte liebe Gott mit seinen Naturschauspielen! In Sachen Schaustellerei noch immer unser aller größtes Naturtalent! Wenn ihm nur die Brille noch lange nicht kaputtgeht und der Hörapparat!
Becks Gummistiefel quietschten zum Vorgartentörchen hinaus und auf dem Schiffersträßchen seewärts.
»Beck am Morgen Beck am Abend Fischer Beck!«
Es war Eugen Höfliger, unser Warter.
»Hoi Geeni. Was erwarten wir heute Großes?« — Beck ging vorbei und schnaubte kurz. Ein armer Spinner, stand in seinen Schlotterhosen an allen Ecken herum und wartete auf wer weiß was, niemand wollte es wissen; seine Frau war ihm ab und davon, das hatte ihn umgehauen.
»Regenwetter!« rief es hinter Beck her. Ziemlich gut gelagert sah er aus und duftete auch streng. Man kümmerte sich nicht darum, wo er hauste, in welches Loch er sich bei Nacht verkroch. Möglich, daß er gar nie richtig schlief. Wo man ihn sah, stand er und wartete. Schon sein Vater hatte einen versteckten Sparren gehabt; er war ein überaus langsam arbeitender Schuhmacher mit kleiner Kundschaft gewesen, und seine Mutter hatte Hemdbrüste Hemdkragen Manschetten gestärkt und ihr Leben lang vor sich hin gebügelt; stille Leute zuunterst in der Untergasse, hatten nie den Mund aufgemacht und überhaupt nie nichts für sich, immer alles für den Sohn. Aber bei ihm war der Sparren stark hervorgekommen, sonst wäre er amtlich bestallter Lehrer geblieben. Zuerst hatte man gedacht, er habe hintenherum Durst. Öffentlich besoffener Lehrer, wilde Reden schwingend! Was wird der heimliche Spinner unseren Knirpsen in der Schule eingetrichtert haben all die Jahre lang! Gut daß man das jetzt wußte! In vino veritas, der Schuß ist draußen!
»Regenwetter Fischer Beck!«
Beck blieb stehen; draußen beim Durchstich gebe es bald die ersten Ledischiffe zu sehen, sagte er. »Du bist doch sonst immer scharf auf Ledischiffe. Hast du das vergessen?«
»Regenwetter! Sturm ahoi!« rief Eugen Höfliger.
»Jawohl, Geeni, ganz genau.« Beck ging weiter, blieb aber nach ein paar Schritten noch einmal stehen. »Wer sind wir denn heute, Eugen?«
»Heute bin ich ich«, sagte der Warter.
»Aha, auch recht. Soll ich dir etwas sagen? Du hättest vorsichtiger mit Warten anfangen sollen. Und weniger laut, Eugen. Hat man dir das nie gesagt?«
Lärm vom Damm her überrollte den stillen Morgen, ein erster Güterzug, donnernd über die eine und kurz drauf über die zweite Dammbrücke, dann Krach von Lastwagen; die schalteten und murksten im Sommer Tag um Tag früher über den See auf die Autobahn hinüber, die wollten aus dem Morgengewühle hinaus, bevor es überhaupt losging.
Auch schon unterwegs war Elsa Rüegg, die Frau des Apothekers, sie brauchte nicht aufzustehen, sie war immer wach, sie konnte nicht schlafen. Leis und langsam ging sie durch die menschenleeren morgengrauen Gassen, und die Spatzen auf den Dächern tschilpten zu ihr hinab und schrien ihr nach, man sah sie nicht, die schwerelos ging, wie schwebend, ein Geist.
Textauszug / Audioaufnahme: Mit freundlicher Genehmigung des Autors